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The Official Website of Andrew Vachss

 

Ein Auszug aus

Tief im Abgrund

von Andrew Vachss


"Was ist passiert?" fragte mich Michelle an diesem Abend.

"Sie wollte, daß ich den Rotschopf alle mache", sagte ich.

"Burke, du hast doch nicht ...?"

"Nein"

"Ich krieg 'ne Wohnung, Schätzchen. Ich muß wieder was arbeiten. Am Telefon."

Ich sagte gar nichts. Stand auf und ging raus zur rostigen alten Feuerleiter. Stieg aufs Dach. Pansy hinterließ dort früher jeden Tag ihre Ladung, aber sie war seit 'ner Weile weg, und der harte chemische Regen hatte die Sache erledigt - der Geruch war fast weg. Ich beugte mich übers Geländer, schaute runter in den Abgrund.

"Was ist los, Burke? Du bist schon seit Stunden hier oben."

Michelle ... ich hatte sie nicht hochkommen hören.

"Nichts."

"Was nichts?"

"Gar nichts. Ich schau bloß runter ins Leere."

"Was ist dieses 'Leere', Schätzchen. Du hast das schon mal gesagt ... ich kapier's nicht."

"Nichts. Das Leere ist nichts. Das, was da unten ist. Nichts. Nachdem du fertig bist. Nichts. Es ist nichts gut - es ist nicht schlecht. Bloß ... Leere, klar? Vielleicht sind da Menschen, ich weiß nicht."

"Wer weiß? Wer weiß über so was schon Bescheid? Was kümmert's dich? Ist eh nichts für dich."

"Denkst du jemals ans Sterben?" fragte ich.

Das Mondlicht spielte auf ihren Jochbeinen, ohne ihre großen, dunklen Augen zu berühren.

"Ja", flüsterte sie.

"Ich auch. Ich hab oft dran gedacht. Ich hab immer gedacht, ich hätte 'ne tödliche Krankheit oder so, wüßte, daß sie mich bald schafft, und wollte noch 'nen Haufen Arschgeigen mit auf die Reise nehmen, weißt du? Ich könnte irgendwo hingehn. Wie Wesley. In ein Zimmer rein, 'ne Tasche voll Dynamit umgeschnallt. Solln se mal sehn, was passiert."

"Wesley war irre."

"Was bin ich denn, Michelle? Schon tot, glaube ich. Ich hab nicht mal mehr diesen Traum. Als wär's zuviel Aufwand. Ich könnte einfach rein ins Leere, es hinter mich bringen."

"Dort ist niemand, Schätzchen. Niemand, der wartet."

Woher wollte sie das wissen? Als ich das letzte Mal jagen war, tötete ich das Kind. Aber ich hatte ihm nichts versprochen, bevor es starb. Ich kannte nicht mal seinen Namen. Da war nichts zu machen. Ich schnippte meine Zigarette übers Geländer. Sah den kleinen roten Punkt runter ins Leere segeln. Was mir echt fehlt, ist Furcht. Sie war mal mein Freund, die Furcht. War bei mir, solang ich mich erinnern kann. Sorgte dafür, daß ich schlau blieb, behütete mich. Ich graste die verschwiemelten Winkel und Ecken ab. Ich lebte am Rande, schlug aus der Deckung zu, schlich über die Grenze zurück. Ein Guerilla ohne Armee. Ein Wolf ohne Rudel. Versuchte mir ein Stück aus der Mitte zu holen. Zog ohne Taschenlampe durch das Gekröse der Stadt, und die Furcht ging von mir aus wie ein Sonar, bewahrte mich davor, auf den Stromstrang zu treten. Ich hatte ständig Schiß. Das brachten sie mir bei. War vielleicht das erste, was mir irgendwer beibrachte. Früher habe ich die Elektrizität in mir gespürt. Furchtstöße. Die in mir hin- und herschossen, die Synapsen übersprangen, die Kontakte herstellten. Mich behüteten.

Als ich dieses Haus der Bestien in der Bronx anschaute, als ich zu meinem Gang aufbrach, war die Furcht nicht bei mir. Sie ist seither nicht mehr da gewesen.

Bloß, daß es mir scheißegal ist.

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