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The Official Website of Andrew Vachss

 

Eine Leseprobe aus
Blossom
von Andrew Vachss

 

Ich rangierte den Lincoln auf den überwiegend leeren Parkplatz, hatte eigentlich vor, im Auto zu bleiben und auf sie zu warten. Links von mir heulte ein Motor auf und Blossom erstarrte in ihrem Sitz. Reifen kreischten. Ein oranger Camaro zog enge Kreise vor einem schwarzen Ford und einem blauen Nova, daß der Splitt spritzte und der Dreck vom Asphalt flog. Der Camaro brach aus dem Kreis aus, kurvte zurück und schoß zwischen den anderen Autos durch in Richtung Mitte. Es sah aus wie ein Luftkampfmanöver auf der Erde, wenn die Autos sich aus der Formation lösten und zum Sturzflug auf die Mitte ansetzten.

Die Autos fächerten auf, und wir sahen es beide gleichzeitig. Eine Möwe, die eine Schwinge abgespreizt über den Boden schleifend, unbeholfen auf den schwimmhautbewehrten Füßen. In der Falle - der Schnabel offen, mit orangen Augen die Autos beobachtend. Ich sah einen kleinen Jungen, die Augen tränenverquollen, das Gesicht vom letzten Schlag gerötet, der von seiner Bettstatt zurückwich. Drei größere Jungs, die auf ihn eindrangen. Lachten, sich Zeit ließen. Ich nahm alles mit dem Bewußtsein der Möve wahr. Sah es, wie sie es sah. Warten, daß die Menschen einem weh tun. Nur noch einmal tüchtig mit demSchnabel zulangen wollen, bevor sie einen erledigen.

Irgendwas rasselte in meiner Brust. Meine Hand schoß unter die Jacke. Sie stieß nur auf ein hämmerndes Herz. Ich rammte den kleinen Gang rein, latschte aufs Gas und brauste mit dem Lincoln zwischen die Möwe und die kreiselnden Autos. Am Schnittpunkt stieg ich auf die Bremse, so daß das Heck des Lincoln herumschleuderte und die Möwe abschirmte. Ich sprang raus, Hände leer, war zu sehr mit der Möwe beschäftigt, um mich drum zu scheren.

Sonne blitzte auf den Wnindschutzscheiben der anderen Autos - ich konnte die Fahrer nicht sehen. Der Motor des Camaro brüllte auf, die Schnauze auf mich gerichtet. Ich hörte die Tür des Lincoln hinter mir knallen. Ich schaute nicht hin. Spreizte die Beine. Schüttelte die Hände aus, atmetet durch die Nase, achtete auf die Autotüren. So sie gemeinsam rauskamen, wußte ich, was ich tun mußte. Den ersten flachlegen, in sein verlassenes Auto springen. Und sehn, wie´s ihnen schmeckte, wenn sie gejagt wurden.

Gummi kämpfte gegen Straßenbelag, als alle drei Autos davonschossen und mich da stehenließen. Ich beobachtete sie, erwartete, daß sie sich wieder sammelten und zurückkamen. Rücklichter flackerten auf, als sie am Ende des Parkplatzes auf die Bremsen stiegen, aber sie fuhren auf den Highway.

Ich drehte mich zum Lincoln um. Blossom stand über den Kotflügel des Lincoln gebeugt, die Hand in ihrer großen Leinentasche. Die Möwe hatte sich nicht gerührt. Ich ging in die Hocke, wollte auf sie zu.

"Wart!" Blossoms Stimme. Sie kam mir hinterher, reichte mir ein Paar dicke Lederhandschuhe.

"Nehmen Sie die. Der Bursche hat´n Schnabel wie ein Rasiermesser."

Ich schlüpfte in die Handschuhe, wunderte mich, woher sie wußte , was ich vorhatte. Ich ging wieder auf die Möwe zu. Im Watschelgang. Ein langsamer Schritt nach dem anderen. Spürte den Asphalt durch die Schuhsohlen. Redete leise auf ihn ein.

"Schon okay, Kleiner. Die Finken sind weg. Wir haben sie verscheucht. Du bist´ne höllen Möwe. Wirst der Oberboß vom Schwarm sein, wenn wir dich wieder hingekriegt haben. Alles okay jetzt. Locker ...ganz locker, Junge."

Sie ließ mich bis auf zirka zehn Schritte ran. Schlug mit der guten Schwinge und täuschte einen Ausbruch nach rechts an. Ich bewegte mich bereits nach rechts, als der Schnabel nach mir hieb. Ich kam grade noch mal davon, redete auf sie ein. Sie beruhigte sich, beobachtete. Ich ging auf Blickkontakt, wollte sie die Ruhe spüren lassen.

"Wir sind nicht alle gleich", ließ ich sie mental wissen.

Meine Beine fingen an zu krampfen, als sie sich rührte. Auf mich zu. Den gebrochenen Flügel nachziehend, löcherte sie mich mit ihren Blicken. Sie war außer Puste. Trauen oder tot sein, darauf lief´s raus. Ich streckte eine behandschuhte Hand aus. Sie packte sie mit dem Schnabel, probierte. Ich spürte den Druck, rührte mich nicht. Rieb ihr den Nacken. Sie beugte den Kopf, blinzelte. Ich langte nach der guten Schwinge, preßte sie an den Körper, während sie mit der gebrochenen schlug, ihren Schlachtschrei kreischte und an meiner geschützten Hand riß. Ich drückte ihr den Schnabel zu, trat vor und fixierte den schlimmen Flügel, hielt ihn ran und grummelte auf sie ein.

Blossom. Sie riß eine Rolle Verbandsmaterial auf. Ließ sie am Boden liegen, Während sie den schlimmen Flügel der Möwe richtete und vorsichtig an den Körper drückte. Ich kapierte, was sie vorhatte, hielt den Vogel, als sie ihm die Bandage um den Körper wickelte. Er hatte den Lederhandschuh zum Großteil aufgerissen, als Blossom ihm einen breiten Gummiring über den Schnabel streifte.

"Halt ihn - ich bin gleich zurück", sagte sie.

kam mit einem Karton aus dem Drugstore gestiefelt. Seitlich stand Pampers drauf.

"Geben Sie ihn mir."

Ich reichte ihr die Möwe. Sie drückte sie an sich.

"Ziehen Sie ihr Hemd aus - er braucht was Weiches in der Schachtel, bevor wir ihn einsperren."

Ich ließ meine Jacke auf den Asphalt fallen, knöpfte das Hemd auf, knüllte es am Boden der Schachtel zu einem weichen Kissen zusammen. Blossom setzte die Möwe langsam rein, schloß den Deckel und überließ sie der friedlichen Dunkelheit.

Während ich fuhr, hielt sie die Schachtel auf dem Schoß. Sagte mir, ich sollte von der 173rd in die Cook Avenue abbiegen.

"Das graue Haus, das mit den weißen Schindeln... sehen Sie´s?"

Ich fuhr auf die Kiesauffahrt, hoch bis zu einer Einzelgarage. Folgte Blossom zur Hintertür. Sie stellte den Karton auf den Küchentisch. Ließ mich da stehen. Kam mit einem Ledertäschchen zurück. Füllte einen Kupferkessel mit Wasser und stellte ihn auf den Herd.

"Sehen wir´s uns mal an", sagte sie und öffnete den Deckel der Schachtel.

Ich hob die Möwe raus, trug sie zu der Ablage neben der Spüle. Metall wurde in den Topf geschmissen. Geschickt fertigte Blossom einen Ring aus weißem Heftpflaster, befestigte an der Innenseite Wattebäusche und stülpte die weiche Kapuze dem Vogel über den Schnabel, um ihm die Augen zu verdecken. Sie goß das kochende Wasser aus. Ich schielte in die Spüle. Schimmerndes Operationsbesteck: Skalpell, Schere, Sonden.

"Ich werde die Binde auf seiner schlimmen Seite aufschneiden. Halten Sie den anderen Flügel fest - ich muß ihn ausbreiten, sehen, wo er kaputt ist."

Der gebrochene Flügel nahm einen Gutteil der Ablage ein. Blossom redete mit der Möwe, während sie arbeitete, Hände und Augen perfekt aufeinander abgestimmt.

"Nimm´s leicht mein Kleiner. Nicht lange, und du wirst wieder Möwenmädchen jagen. Nun laß mich mal schauen. Keine Aufregung."

Weiteres Sondieren.

"Da haben wir´s. Ein sauberer Bruch. Ich kann ihn richten, sobald ich die kleinen Brocken weggeschnitten habe. Hier!"

Sie wickelte die Schwingen wieder zusammen, ließ vor Konzentration die Zungenspitze zwischen den Lippen rausspitzen.

"Im Keller ist´n alter Vogelkäfig. Groß genug für einen Papagei oder so was. Von der Treppe aus links."

Ich entdeckte den Käfig. Der Griff ging mir fast bis zur Brust. Ich trug ihn hoch.

"Stellen Sie ihn hinten raus - wir müssen ihn abspritzen."

Ich erledigte es, während Blossom Zeitungspapier zum Auslegen zerfetzte. Sie reichte mir die Kombizange.

"Nehmen Sie das andere Zeug raus - er braucht Platz."

Ich entfernte sämtliche Stangen, bis der Käfig nur mehr ein leeres Gehäuse war. Die Tür war nicht groß genug für die Möwe - ich bog die Stäbe auseinander. Blossom setzte den Vogel sachte drin ab. Er machte kein Anstalten, sich zu wehren. Musterte uns.

"Im Küchenschrank ist´n bißchen Lachs. Machen sie ihm ´ne Büchse auf, derweil ich was zum Abdecken besorge."

Ich öffnete die Büchse, kippte den Lachs in den Käfig. Füllte die leere Büchse mit Wasser und stellte sie ebenfalls rein. Blossom kam mit einer Militärdecke zurück. Schnitt sie mit dem Operationmeser in Streifen und hängte sie oben über den Käfig.

"Mach dir´s gemütlich, mein Junge", sagte sie. "In ein paar Wochen biste wieder fit."

Ich saß am Küchentisch. Blossom stand neben mir "Schauen wir mal die Hand an." Die Knöchel blutverkrustet, ein Finger sauber aufgetrennt.

"Waschen sie´s in der Spüle ab. Kaltes Wasser, keine Seife. Achten sie drauf, daß das Blut sauber abläuft."

Sie trocknete mir die Hand ab, sprühte irgendein brennendes Zeug auf den offenen Biß, legte eine Schmetterlingsbinde an.

"Bleibt nicht mal ´ne Narbe", sagte sie.

"Waren Sie mal Schwester?"

Ihre türkisen Augen musterten mein Gesicht, ein Lächeln umspielte ihren breiten Mund.

"Nein. Genausowenig wie sie Immobilienspekulant sind. Bin gleich wieder da."

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