Über die
Entstehung von Two Trains Running
von Andrew Vachss
Ich habe mich stets eher als Journalist denn als Romanautor betrachtet.
Sonny Mehta, seit längerem mein Herausgeber, schuf den Ausdruck
"Ermittlungsroman", um das Wesentliche meiner Werke zu beschreiben, und
ich war immer stolz auf diese Bezeichnung. Aber während ein großer Teil
meiner bisherigen Romanliteratur – wie die Burke-Serie – dazu bestimmt
war, den Untergrund von Kindesausbeutung an allen Fronten bloßzulegen,
wurde das zugrunde liegende Material gewöhnlich als "prophetisch"
betrachtet. Als ich zum Beispiel über räuberische Pädophile schrieb, die
illegalen Handel mit Kinderpornographie über das Modem betrieben, dachten
einige Kritiker, die Bücher seien "entsetzliche Fantasie". Warum? Weil es
1987 war – viele Jahre, bevor solche Wahrheiten allgemein bekannt wurden.
Ich habe häufig gesagt, dass, wenn ich einen Wunsch erfüllt bekommen
könnte, es der wäre, dass die Gräuel, über die ich schreibe, Produkte
meiner Fantasie wären, "fiction". Two Trains Running jedoch dreht
den Suchscheinwerfer in eine andere Richtung ... nicht in die Zukunft,
sondern in die Vergangenheit. Ich nehme allgemein bekannte historische
Gegebenheiten, füge Erkenntnisse hinzu, die allgemein bekannt sein
sollten, und mische sie mit meiner Meinung nach sehr einleuchtenden
"Erklärungen", warum die Ereignisse sich so entwickelten.
Meine Erfahrung während des Krieges in Biafra (heute Nigeria) hat mich
etwas gelehrt, was so viele, die vor mir gingen, bereits gelernt haben:
Die Sieger dürfen die Geschichtsbücher schreiben. Und das bedeutet
manchmal, dass die Geschichtsbücher etwas falsch darstellen. Al Capone
beispielsweise ist keiner der Protagonisten in Two Trains Running,
aber sein Tod ist ein bedeutender Faktor in der Entwicklung der Ereignisse
des Romans. Capone starb 1947 an Syphilis, aber wie er sich mit der
Krankheit infizierte, ist ... nun, es ist offene Spekulation – besonders
wenn man sich vergegenwärtigt, dass das FBI viel mehr von seinem
langsamen, erniedrigenden Verfall profitierte als von einem weiteren
Mob-Massaker. Gibt man das berüchtigte "Tuskeegee Experiment"
hinzu, das die US-Regierung mit Schwarzen aus dem Süden ab den 30er Jahren
durchführte, fügt man meine eigene Zeit als Ermittler für
Geschlechtskrankheiten (vor meiner Zeit in Biafra) hinzu ... man könnte
feststellen, dass meine "Spekulation" dazu führt, dass man die
Geschichtsbücher überdenkt. Ich hoffe, dass es so sein wird.
Die Figur des Walker Dett (a debt, walking: eine wandelnde Schuld) in
meinem Buch ist an seiner Oberfläche ein gedungener Mörder: ein Söldner,
der Mord wie ein Großhändler verkauft. Ist seine "Mission" im Jahre 1959
wirklich so abstrus, wenn man bedenkt, wie viele FBI-Mitarbeiter sich
während der mörderischen Tage der Unterdrückung der Bürgerrechtsbewegung
an Klan-Gewalttätigkeit beteiligt haben? Jeden Tag tauchen neue
Informationen über Anti-Bürgerrechts-Morde aus dieser Zeit auf, die erst
jetzt mit Hilfe von unversiegelten FBI-Akten strafrechtlich verfolgt
werden. Und wessen Interessen wurde gedient durch die Organisationen, die
die Waffen für die Gewalt, die während dieser Zeit überall in Amerika
gefördert wurde, lieferten? Interessiert es uns, ob die Waffenhändler, die
Straßenbanden, schwarze Befreiungsbewegungen und die
Neonazi-Organisationen belieferten, eigene Ziele über Geldverdienen hinaus
verfolgten? Sollten wir nicht diskutieren, wie die kommerzielle
Porno-Industrie auf dem Verlangen aufgebaut wurde, die Welle der "neuen
Prohibition" zu reiten? Oder wie die Prohibition selbst die
Verbrecher“familien“ finanzierte, die noch heute bestehen? Two Trains
Running unterzieht all dies einer genauen Überprüfung.
Dieser Roman spielt im Vorfeld der Wahl von 1960, die John F. Kennedy ins
Weiße Haus gebracht hat und immer noch den Rekord der höchsten
prozentualen Wahlbeteiligung hält. In meinem Buch ist dies der Punkt, um
den sich die amerikanische Politik von diesem Zeitpunkt an gedreht hat.
Aber wer hat den Wahlausgang wirklich entschieden? Welche Mächte waren
unter der Oberfläche am Werk? Diese Art von Fragen macht Two Trains
Running zu einem viel ehrgeizigeren Unterfangen als alle anderen, an
denen ich mich je versucht habe. Manchmal wird man es leid, darauf zu
warten, dass sich das "Fenster der richtigen Gelegenheit" öffnet, und man
entscheidet, dass es an der Zeit ist, einen Ziegel durch die Scheibe zu
werfen.
Letztendlich ist Two Trains Running mein Tribut an die einzige
treue Macht für schrittweise soziale Veränderung, den einzigen
verlässlichen Beschützer der Demokratie: investigativer Journalismus. Für
jeden Journalisten, der den Namen verdient, ist die Suche nach der
Wahrheit die ultimative Pilgerfahrt. Also wird für mich der Erfolg dieses
Buches nicht nur daran gemessen, wie viele Fragen es aufwirft, sondern
auch daran, wie viele Fragende es hervorbringt.
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