Sexualstraftäter können nicht gerettet werden
von Andrew Vachss
ursprünglich erschienen in der New York Times, 5. Januar 1993

Westley Allan Dodd sollte um 12:01 diesen Morgen im Staatlichen Zuchthaus von Washington in Walla Walla gehängt werden. Er war zum Tode verurteilt worden, weil er drei Jungen zu Tode gefoltert hatte. Mr. Dodd hat alle Bemühungen, seinen Fall neu aufzunehmen, abgelehnt. Er hat vielleicht nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft, aber ganz sicher hat er alle "rehabilitativen" Bemühungen der Gesellschaft ausgeschöpft.

Mr. Dodd, ein chronischer, unverbesserlicher Sadist, machte kürzlich vor Gericht folgende Aussage: "Wenn ich entkomme, daß verspreche ich Ihnen, dann werde ich wieder töten und vergewaltigen, und ich werde jede Minute davon genießen."

Mr. Dodds Drohung verlangt eine Antwort, denn wir wissen, daß er kein Einzelfall ist. Es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß Monster unter uns leben. Die Frage ist, was machen wir mit ihnen, wenn wir sie erstmal erkannt haben.

Die Todesstrafe ist keine Antwort. Durch Rassismus und ökonomische Vorurteile belastet und endlos durch Einsprüche verzögert, bringt sie außer hohen sozialen und wirtschaftlichen Kosten sehr wenig. Obwohl sie sehr effektiv ist — der Mörder wird nie mehr zuschlagen — bleibt sie eben doch auf Mörder beschränkt. Sie wird uns nicht vor Vergewaltigern und Kinderschändern beschützen, für diese ist die Freilassung praktisch gewährleistet, sie werden ihre Verbrechen mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederholen.

Wenn wir die Sexualstraftäter nicht töten können, liegt unsere Hoffnung dann vielleicht in der Vernichtung ihrer destruktiven Impulse? Mr. Dodd und seinesgleichen sind Soziopathen. Sie sind gekennzeichnet durch einen fundamentalen Mangel an Empathie. Alle Neugeborenen sind die reinen Egoisten. Sie nehmen ihre Bedürfnisse ohne Rücksicht auf die der anderen wahr. Nur durch Sozialisation lernen sie, daß einige Bedürfnisse aufgeschoben werden müssen, daß sie auf andere ganz verzichten müssen. Wenn die Entwicklung eines Kindes unvollständig oder pervertiert ist — Kindesmißbrauch ist der wichtigste Faktor in dieser Gleichung — neigt dieses Kind dazu, keine empathischen Fähigkeiten zu entwickeln. Es fehlt eine Karte, eine Karte, die man nicht mehr ins Spiel zurückstecken kann, sobald die Persönlichkeit voll ausgebildet ist.

Erfahrungen in der frühen Kindheit können sehr einflußreich sein, zwingend sind sie nicht. Bösartigkeit ist eine Entscheidungsfrage. Soziopathen können sich einen äußeren Anstrich von Zivilisation geben — für diese Räuber ist das Teil ihrer Tarnung — sie werden aber niemals die Fähigkeit besitzen, etwas anderes als ihren eigenen Schmerz zu fühlen und daher immer nur ihre eigene Befriedigung anstreben. Nicht alle Soziopathen wählen die sexuelle Gewalt. Einige stürzen sich in politische oder wirtschaftliche Intrigen. Aber diejenigen, für die Blut oder Schmerz ein Stimulus ist, arbeiten nicht weniger effizient und verursachen dabei furchtbare und völlig inakzeptable Kosten.

Einige Sexualtäter können abgeschreckt werden, man kann sie jedoch nicht rehabilitieren, weil sie nicht zu einem Zustand zurückkehren können, der für sie niemals existierte. Das Konzept der erzwungenen Therapie ist ein Widerspruch in sich: Erfolgreiche psychiatrische Therapie erfordert Teilnehmer, keine bloßen Empfänger. Was diese Täter so hartnäckig und gefährlich macht, ist, wie Mr. Dodd ehrlich zugab, ihre Freude an dem, was sie tun und ihre Absicht, damit fortzufahren.

Die Besessenheit der Sexualstraftäter wird deutlich im Fall von Donald Chapman, einem Vergewaltiger aus New Jersey, der im November nach zwölfjähriger Haft — der Höchststrafe für sein Verbechen — entlassen wurde. Er war im Gefängnis ununterbrochen therapiert worden und blieb davon offensichtlich völlig unbeeinflußt. Er kündigte an, erneut Frauen angreifen zu wollen — eine Drohung, die seine totale Besessenheit von sexueller Folter dokumentierte. Als Ergebnis dieser Drohung sitzt er jetzt in seinem Haus in Wyckoff, New Jersey und wird rund um die Uhr von der Polizei bewacht.

Eine Studie, die 1992 an 767 Vergewaltigern und Kinderschändern in Minnesota durchgeführt wurde, ergab, daß diejenigen, die eine psychiatrische Behandlung durchlaufen hatten, häufiger wegen neuer Sexualverbrechen verhaftet wurden als solche, die keinerlei Behandlung erfahren hatten. Ein kanadischer Bericht, in dem freigelassene Kinderschänder über einen Zeitraum von 20 Jahren beschrieb, enthüllte, unabhängig von Therapien, eine 43-prozentige Rezidivrate. Der Unterschied zwischen denen, die einfach nur inhaftiert wurden, und denen, die eine vollständige Therapie erfuhren, war statistisch unerheblich. Und je gewalttätiger und sadistischer das Verbrechen war, desto wahrscheinlicher auch eine Wiederholung.

Ein weiterer Faktor, der eine Rehabilitation vereitelt, ist das Bedürfnis der Täter immer höhere Stimulationslevel zu erreichen. Es gibt kein beobachtbares Nachlassen ihrer Bedürfnisse über die Jahre: Sexualstraftäter wachsen aus ihrem Verhalten nicht heraus. Deshalb ist es durchaus möglich, daß die meisten Sexualstraftäter, die anfangs nicht wegen Mordes verhaftet wurden, zu einem späteren Zeitpunkt versuchen, jemanden zu töten.

Was ist mit den klassischen Selbsthilfeprogrammen? Sollten wir uns darauf konzentrieren, ihr Selbstbewußtsein zu verbessern? Inhaftierte Sexualverbrecher bekommen so viel Fanpost wie Rockstars. Sie werden von den Medien hofiert, von ergebenen Soziologen studiert, jedes Wort von ihnen wird wie ein tiefsinniger Schatz gehortet. Ihre Zeichnungen werden gesammelt, ihre Gedichte veröffentlicht. Sammelbilder feiern ihren blutigen Wandel in unserer Mitte.

Ich erhielt kürzlich den Brief einer jungen Frau, die sich darüber ausließ, daß sie nach langem Briefwechsel die "Besuchsrechte für Mr. Dodd erhalten" hatte. Kurz darauf trat sie bei "Sally Jessy Raphael" auf — wegen ihrer "Beziehung" zu "Wes", den sie für "ehrlich" hält. Das tue ich auch. Wir sind uns nur nicht einig über das Objekt seiner Ehrlichkeit.

Sexualverbrecher sind bereits Narzissten. Hinter ihren Masken lachen sie über unsere Versuche, sie zu verstehen und zu rehabilitieren. Wir haben ihre Geringschätzung verdient — dadurch, daß wir daran glauben, sie könnten sich ändern, durch unsere Verwechslung von "verrückt" und "gefährlich", von "krank" und "ekelerregend".

Wenn wir nicht bereit sind, Sexualverbrecher hinzurichten, aber auch keine Behandlung kennen, was für Möglichkeiten der Verteidigung haben wir denn noch? Der Staat Washington kennt ein sogenanntes Gesetz für Sexualverbrecher, das es erlaubt, solche Täter auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren, wenn ihre Freilassung gefährlich erscheint. Die Kritiker dieses Gesetzes argumentieren mit der zweifelhaften Fähigkeit der Psychiatrie, zutreffende Prognosen abzugeben. Andere zitieren die verfassungsmäßigen Probleme damit, jemanden wegen möglicher zukünftiger Verbrechen zu inhaftieren.

In letzter Zeit gab es viele Diskussionen um die freiwillige Kastration. Ein solches "Heilmitter" ignoriert die Realität. Sexuelle Gewalt ist kein zu weit gegangener Sex, sie ist Gewalt, die Sexualität instrumentalisiert. Wut, Sadismus und der Wunsch, andere zu beherrschen oder zu unterwerfen sind die treibenden Kräfte. Kastration kann durch Schwarzmarkthormone rückgängig gemacht werden, Sexualmorde wurden auch schon von physisch kastrieren Vergewaltigern begangen. Menschen wurden mit stumpfen Gegenständen vergewaltigt. Und wie kastriert man weibliche Verbrecher?

Unsere Antwort auf Sexualverbrecher muß das Ausmaß und die Intensität des möglichen Verhaltens abwägen gegen die Wahrscheinlichkeit seines Auftretens. Ein Ex-Häftling, der sich möglicherweise in einer überfüllten U-Bahn entblößt, mag ein kalkulierbares Risiko sein — das ist ein Häftling mit auch nur einer geringen Wahrscheinlichkeit zu foltern und zu morden nicht. Derartige Gewalt ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft: die konzentrischen Kreise breiten sich auch dann noch aus, wenn der Stein bereits gesunken ist. Mehr und mehr Opfer werden davon betroffen sein.

Wenn es um sexuelle Gewalt geht, ist das Ergebnis all unserer soziologischen, psychologischen und psychiatrischen Erkenntnisse folgended: Verhalten ist die Wahrheit.

Chronische Sexualverbrecher haben eine osmotische Membran überquert. Sie können nicht mehr auf die andere Seite zurück — auf unsere Seite. Sie wollen das auch nicht. Wenn wir sie weder töten, noch freilassen wollen, bleibt uns nur eine Möglichkeit: Wir nennen sie Monster und isolieren sie.

Wenn es um sexuelle Sadisten geht, werden uns keine psychiatrischen Diagnosen beschützen. Beschwichtigungspolitik gefährdet uns. Rehabilitation ist ein Witz.

Über die Jahre habe ich mit vielen Sexualverbrechern gesprochen. Jeder von ihnen zeigte Erstaunen darüber, daß wir sie nicht jagen, daß wir sie laufen lassen, wenn wir sie schon mal fangen. Unsere Haltung ist eine bewusste Einmischung in den Darwinismus — eine Gefährdung unserer Art.

Ein richtiges Experiment bringt Antworten. Experimente mit sexuellen Sadisten haben bisher nur Opfer produziert. Das Gesetz für Sexualverbrecher des Staates Washington wird vor Gericht sicherlich angefochten werden, und es mag Jahre dauern, bis verfassungsmäßige und kriminologische Kriterien zur Inhaftierung eines Kriminellen über seine Haftstrafe hinaus aufgestellt werden.

Vielleicht wären lebenslange Haftstrafen ohne Chance auf Bewährung für verschiedene Sexualverbrechen eine ehrlichere Antwort. Auf jeden Fall bieten solche Gesetze unsere einzige Hoffnung gegen eine Epidemie sexueller Gewalt. Eine Epidemie, die droht, unsere Gesellschaft derart zu verschmutzen, daß sie jenseits aller Möglichkeiten zu ihrer eigenen Rehabilitation ist.


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