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von Andrew Vachss veröffentlicht in Change: A Juvenile Justice Quarterly, Vol. V, No. 3, 1982
Wann werden aus den Opfern von gestern die Täter von Morgen? Wie oft muß sich die Jugendjustiz vor Scham winden wenn wieder einmal bekannt wird, das einige jugendlichen Mörder schon lange mit dem Justizsystem zu tun hatten, bevor es zu dem Verbrechen kam? Wieviele jugendliche Killer, die der Jugendjustiz schon lange bekannt sind, kommen auf ein ermordetes Kind, von dem die Sozialarbeiter schon lange wußten? Wann wird unser Berufsstand aufwachen und einsehen, daß die Medien hier von denselben Kindern berichten - nur in verschiedenen Stadien der „Entwicklung“? Die Jugendjustiz ist traditionell außergewöhnlich reaktiv und
beantwortet die öffentliche Entrüstung und den Aufschrei der
Gesellschaft mit dem Wohlwollen (einige würden auch sagen mit der Moral)
einer tanzenden Kobra. Aber warum sollten wir nach dem Erwachsenenstrafvollzug schielen? Wegen seiner langen Erfahrung in den rehabilitativen und humanen Diensten? Kaum. Der Erwachsenenstrafvollzug hat nur einen einzigen wirklich wichtigen Vorteil für die öffentliche Sicherheit: Solange er für die Gefangenen Verantwortlich ist, laufen sie nicht in unserer Mitte herum. Was versprochen wird ist ein Wegsperren, keine Rehabilitation. Für eine Öffentlichkeit, die gewaltsame Jugendkriminalität als schwerwiegendste Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität sieht, ist das genug.
Trotzdem geht diese „Lösung“ weit am eigentlichen
Problem vorbei. Sogar mit der Betonung auf den
Erwachsenenstrafvollzug für jugendliche Straftäter scheint es für die
Öffentlichkeit und einige professionelle Beobachter klar, das jugendliche
Kriminalität zunimmt (obwohl die statistischen Hinweise darauf alles
andere als definitiv sind). Die Vorstellung des Bankrotts der
Jugendjustiz bleibt weiterhin ungeprüft bestehen.
„Kriminalitätsprävention“ Trotz dieser negativen Aspekte ist das Konzept der Prävention viel zu attraktiv, als das man es einfach über Bord werfen könnte. Wenn wir uns darauf konzentrieren, wo wir die Prävention beginnen, welche Bevölkerungsgruppe wir als Ziel der Prävention nehmen und wer die Entscheidungen fällt, gelangen wir zu einigen unvermeidlichen Schlüssen. Es gibt keine Gewaltprävention ohne Intervention gegen frühen Kindesmißbrauch. Und es gibt keine Hoffnung auf eine effektive Intervention ohne ein vereinheitlichtes Hilfssystem für Kinder, das über Staatsgrenzen hinausgeht. Es gibt Leute, die argumentieren, daß alle präventiven Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind, einfach, weil sie sich auf ihre Fähigkeit, zukünftiges Verhalten vorherzusagen, verlassen. Diese Fähigkeit müssen Kriminologen allerdings erst noch erwerben. Unsere Antwort darauf: Wir würden erst dann intervenieren (um "Straftaten zu vermeiden"), wenn ein Gerichtsurteil bezüglich des Mißbrauchs oder der Vernachlässigung eines Kindes gegeben wäre.
Diese Zusammenhänge lassen sich am besten anhand der öffentlichen Instituionen
belegen; in bestimmten Fällen unterstützt gerade deren Zusammenwirken die Entstehung
jugendlicher Krimineller.
Ungeachtet des juristischen Aspektes haben diese Systeme ähnliche Namen:
Department of Social Services, Child Protection Services, Youth and Family
Services, Department of Youth Services. Die Namen sind ebenso wie die
Spiele, die diese Institutionen spielen, austauschbar. Ein Kind, das in
frühester Kindheit brutal mißbraucht wurde, wird von den etablierten sozialen
Diensten wie ein „Quasi-Opfer“ behandelt. Den Begriff
„Quasi-Opfer“ habe ich gewählt, um die Reaktion eines Systems zu
beschreiben, das Mißbrauch als einen Teil der Familiendynamik betrachtet, und
seine Rolle darin sieht, diese Familie zu rehabilitieren. Angenommen, das Büro eines Sozialdienstes erhält einen Bericht über den Mißbrauch
eines Kindes.
Wenn diese Leute jetzt entscheiden, daß die Eltern des Kindes das Kind zwar
mißbrauchen, die Prognose für eine eventuelle „Rehabilitation“ der
Eltern sich jedoch durch einen Gerichtsprozeß verschlechtern würde, dann kann diese
Behörde ohne eine externe Überprüfung, und ohne irgendjemandem Rechenschaft
ablegen zu müssen, ganz beliebig mit dem Fall verfahren.
Die Behörde wird beschließen, daß auf dem von ihr gewählten Weg, die Interessen aller,
sowohl die der Eltern als auch die des Kindes gewahrt sind.
Dabei ist der gewählte Weg, durchaus im Interesse der Eltern, nicht notwendigerweise
auch im Interesse des Kindes. Trotzdem unterliegt eine solche Entscheidung keinerlei
Kritik. Die "Fakten", die die Behörde im Rahmen ihrer eigenen Untersuchungen
gefunden hat, müssen sich niemals als begründet beweisen. Selbst der Verlauf der
gewählten Behandlung wird von den denselben Leuten beurteilt, die sie durchführen.
Das Kind bleibt weiterhin ohne Repräsentanten.
Wenn (nicht falls) dies geschieht, erhält das Kind eine kristallklare Botschaft: Deine Mißbraucher sind mit ihrem Verhalten schon in Ordnung, sogar der starke Staat hat letztendlich sein Einverständnis damit besiegelt. Jede Vorstellung, die dieses Kind über Wahrheit, Gerechtigkeit und Gleichheit entwickelt hat, wird so massiv angegriffen. Ein Kind, das sehr früh lernt, daß es von der Gesellschaft weder Schutz noch Gerechtigkeit zu erwarten hat: Wie wird die Reaktion eines solchen Kindes auf die gequälten Schreie eben dieser Gesellschaft sein, wenn einige ihrer Individuen einen zunehmend normalen Status einnehmen - den des „Opfers“?
Die Sozialbehörden und die Jugendjustiz kämpfen theoretisch im selben
Krieg. In der Theorie sind wir alle Teil eines Prozesses, in dem die Kinder
beschützt werden, wir alle vertreten dieselebe Philosophie: Der Schutz der Kinder
von heute bedeutet den Schutz der Gesellschaft von morgen. Das Verschieben des „schwarze Peters“ in der Bürokratie muß
aufhören:
Es darf nicht sein, daß ein gefoltertes Kind in seiner gefährlichen Umgebung bleiben
muß, weil ein Mangel an passenden Alternativen besteht. Das Inzestopfer
muß vom System emotionale Unterstützung erfahren, von demselben System, das heute
noch allzuoft den Fortgang des Mißbrauchs erlaubt, weil eine Inhaftierung des
Brötchengebers die „Zahl der Sozialhilfeempfänger erhöhen würde“.
Es ist an der Zeit für einen umfassenden Schutz für alle Kinder. Die Zeit ist reif für den Zusammenschluß der Kinderschutzbehörden (wie auch immer sie heißen mögen), damit diese ihre Ressourcen zusammenlegen und das Gerede zugunsten von Ergebnisse einstellen können. Diese neue Profession (die, unberührt von den sozialpolitischen Philosophien der Beteiligten, eine Judikative beinhalten muß, um irgendeine Bedeutung zu erhalten) würde die Verantwortung für alle Kinder übernehmen, unabhängig von deren Status. Es ist an der Zeit einige realistische Vorgaben zu machen, an denen sich die Behörden orientieren müssen.(Ich beziehe mich nicht auf diese lächerlichen Listen, die in Massen produziert werden von sogenannten „Think Tanks“ mit genügend politischem Einfluß, Zuwendungen der Regierung zu erhalten.) Zum Beispiel sollte die Entscheidung, ob ein Kind aus einem mißbrauchenden Elternhaus entfernt wird, von klaren Kriterien abhängig gemacht werden, und nicht der persönlichen Philosophie eines Sozialarbeiters überlassen werden. Wir müßten deutlich machen, daß Individuen, die ihre Kinder mißbrauchen, weil sie mit bestimmten Stresssituationen in ihrem Leben nicht fertig werden, gute Kandidaten für eine gesamtfamiliäre Behandlung sind. Diejenigen aber, die ihre Kinder zu ihrem persönlichen Vergnügen oder Nutzen mißbrauchen sind es nicht. Ist eine Jugendfürsorge, die sich an den Kindern vergeht, indem sie diese Tatsache ignoriert nicht ebenso schuldig an dem Mißbrauch wie die mißbrauchenden Eltern? Und ist ein Elternteil, das seine Kinder sexuell mißbraucht, der Gesellschaft gegenüber nicht ebenso schuldig geworden wie jemand, der eine Bombe baut und in einem vollbesetztem Wohnhaus deponiert? Wir können weiterhin die Beweislast professioneller Studien ignorieren, wie z.B. die kürzlich vorgestellte Untersuchung des National Institute of Mental Health, nach der viele Patienten, die als Schizophrene diagnostiziert und behandelt wurden, multiple Persönlichkeiten entwickelten, um sich von fortgesetztem frühem Kindesmißbrauch zu distanzieren. Wir können die Zusammenhänge zwischen sexuellem Mißbrauch von Kindern und Prostitution ignorieren. Wir können aber nicht unsere eigenen Gefühle und Erfahrungen ignorieren. Wie Charles Manson sagte: "Ihr könnt mich in den Augen Eurer Zehnjährigen sehen." Gibt es noch irgendeine Frage danach, welchen Teil unserer jugendlichen Bevölkerung er mit dieser Horrorprophezeiung meinte? Einzig die Menschen unter allen Lebensformen foltern ihre eigenen Kinder. Und Kindesmissbraucher sind die einzigen Kriminellen, die ihre Opfer selbst ins Leben setzen. Das Konzept der „Straftatprävention“ ist nicht notwendigerweise eine Lüge.Doch wenn die Jugendjustiz weiterhin versucht unabhängig von den in allen Staaten der Union bestehenden (wenn auch nicht funktionierenden) Kinderschutz-Netzwerken zu arbeiten, kann es nichts anderes als eine Lüge sein. Der gegenwärtige Bankrott der Kinderschutzbehörden zeigt uns sowohl Probleme als auch Möglichkeiten. Vielleicht wird unsere Verzweiflung uns erstmals dazu bringen, ein System aufzubauen, in dem die von allen angestrebte perfekte Dualität erreicht ist: Die Kinder zu schützen, damit uns alle zu schützen. Das Rätsel der Jugendjustiz Ein Elefantenbaby kann sich, abhängig von seinem Training und seiner Behandlung, in viele verschiedene Richtungen entwickeln: Er kann in vielerlei Hinsicht ein wertvoller Partner sein: Bei der Arbeit, als Zirkuselefant das Publikum unterhalten, er kann aber auch zum brutalen Raubtier werden, dessen einzige Freude es ist, Menschenschädel zu zertreten. Der Babyalligator verlässt das Ei als tödlicher Killer, er existiert nur zu diesem Zweck und wartet nur auf seine volle biologische Größe, um zuschlagen zu können. Er kann nicht umtrainiert werden und wird seine gewalttätige Linie von der Geburt bis zum Tod verfolgen. Diejenigen von uns, die in der Jugendjustiz arbeiten, betonen das wir es mit Babyelefanten zu tun haben. Die Öffentlichkeit glaubt immer mehr, daß wir mit Babyalligatoren arbeiten. Wenn wir endlich anfangen, bei Kindesmißbrauch und Vernachlässigung in der frühesten Kindheit zu intervenieren, und somit Gewaltprävention nicht mehr rhetorisch sondern wissenschaftlich betreiben, dann könnte diese Unterscheidung zwischen Elefantenbabys und Alligatorbabys bald hinfällig werden. |
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