True Blues


Doc Pomus

Für eine Bluesbar war es ein großer Laden, hatte aber nicht genug Sitzplätze für die kostspieligen Acts. Chicago ist immer noch eine Bluesstadt, und manchmal hat man Glück - Virgil sagte, er hätte mal Buddy Guy und Junior Wells mitgekriegt, und sie waren nicht mal angekündigt.

Doc PomusDie Kellnerin räumte gerade den Tisch ab, als sie nach und nach auf der kleinen Bühne antanzten. Ich beobachtete die Musiker, fragte mich, was das werden sollte. Ein komisches Aufgebot. Ein großer Kerl mit Gospelsängergesicht stöpselte eine elektrische Fiedel ein, wie sie einst Sugarcane Harris spielte. Steel-Gitarre, Virgil am Klavier, Schlagzeug. Ein zaundünner Schwarzer, der alt genug wirkte, um als entlaufener Sklave durchzugehen, saß auf einem Stuhl und hatte eine Slide-Gitarre auf dem Schoß liegen. Ein rosiger, untersetzter Knabe mit einer dunklen Brille, einen Patronengurt voller Mundharmonikas um die Hüfte, stand am anderen Ende. Der Frontmann brauchte eine Weile, bis er ans Mikrofon kam. Seine Brust war breit genug, daß man Patiencen drauf legen konnte, sein Kopf groß wie ein Basketball, dichte lange Haare in mühsam gebändigten Wellen aus der Stirn nach hinten geklatscht. Er stand auf Metallkrücken, die ihm etwa bis zur Leibesmitte reichten. Ein massiger Oberkörper auf nutzlosen Beinen.

Sie kündigten nicht mal den Namen der Band an. Der Mann an der Elektrofiedel fegte mit einem langsamen, gezogenen Schrei los. Der Drummer legte eine scharfe Rhythmuslinie drunter, als der Harmonikaspieler heulend dazwischenging, darauf wartete, daß der Pianist ihm in die hohen Tonlagen folgte. Der breitbrüstige Kerl auf Krücken brachte sie heil durch eine kitzlige Version von "Mary Lou". Etwa so, wie Ronnie Hawkins es immer machte, aber mit dem Harmonikaspieler als zweitem Sänger. Er bot uns "Suzie Q" und ein giftig gezogenes "Change in the Weather". Blues - eine andere Bezeichnung fiel mir nicht ein. Virgils Piano war ein Zaubergerät - klares Wasser, das über kristallne Felsen strömte, sich schäumend brach und in die Tiefe stürzte, wo es am Boden einen Strang purer Reinheit abspulte, bevor es wieder aufstieg. Er und der Fiedler breiteten einen Teppich aus neonfarbenem Rauch aus, durch den sich der Slide-Gitarrist bohrte, die Finger hoch oben am Hals, kontrapunktisch zur Harmonika, so daß zwischen beiden unwirklich gebrochene Töne entstanden, als spiele man Seilhüpfen mit einem Metalldraht. Die Steel-Gitarre wimmerte leise im Hintergrund.

Rebeccas Stimme: "Mein Virgil kann spielen, nicht wahr?"

Blossom: "Näher kommt man dem Herrn auch in der Kirche nicht."

Die Band ging zu ihrem eigenen Zeug über. Sagte die Wahrheit. Über Frauen in Nachtclubs und Straßenmädchen, giftigen Stoff und "Ohne-geht's-nicht"-Zoff. Höllenhunde, zwischen Knast und Abgrund. Zocker und Zuhälter. Rumhurende Weiber und Schießereien. Was kostet die Welt. Schwere Zeiten und schwere Jungs. Ein Winzspot strahlte die Musiker an, während jeder sein Solo hatte und der Sänger den Namen eines jeden einzelnen Mannes sagte, der grade dran war. Sie beendeten die letzte Nummer. Die Slide-Gitarre schaffte sich durch die Baßnoten, lediglich von Virgils Piano unterstützt. Der Mann auf den Krücken redete mit uns.

"Männer, schon mal `ne gute Frau gehabt? Ich meine, ‘ne guuuute Frau ... eine, die zu euch steht, wenn’s gilt, und auf euch steht, wenn ihr sitzt? Ihr wißt schon, was ich meine. `ne Frau, die euch die gute, die echte Liebe geben kann? Antwortet, wenn ich die Wahrheit spreche!"

Sie antworteten ihm. Schlugen die Whiskeygläser aneinander, brüllten "Richtig so!" zur Bühne hoch, heulten anfeuernd.

"Und ihr habt sie weggeschmissen, nicht wahr? Sie gehen lassen. Habt’n gebrauchten Cadillac aufgegeben für’n neuen Ford, wenn ihr wißt, was ich sage?"

Sie wußten es.

"Und ihr habt immer bloß noch eine Chance gewollt? Na, dann hört jetzt zu."

Diesmal fuhrwerkte die elektrische Fiedel unter der Harp rum, an der der pummelige Knabe die Töne zu neuen Formen schmiedete. Der Mann auf Krücken brach in die Musik ein wie ein Faustschlag durch eine Tür, nagelte die Menge mit seiner Kobaltstimme fest.

I've done you wrong
So many times
Treated you cruel
Played with your mind
I know you're leaving
And I'll miss your loving touch
But won't you listen just one more time?

Woman, don't you owe me that much?
I drank and I gambled
But you always let me come home
Yes, I drank and I gambled
But you always let me come home
You always forgave me
Till you heard that little girl on the phone

Eine Frau im Saal schrie irgendwas zur Bühne hoch. Der Sänger verbeugte sich in ihre Richtung und ging wieder ans Werk.

I lost my job, even went to jail
And you always stayed by my side
When I lost my job, and I went to jail
You always stood up, right by my side
But you saw me with that other woman
You swore your love had died

First you said you'd kill her
And then you changed your mind
Yeah, you said you'd take her young life
But then you changed your mind
You threw my clothes in the street
And told me to stay with my own kind

Strophe um Strophe knallte er uns hin, erzählte seine Geschichte. Sagte die Wahrheit. Als er am Ende des Wegs angelangt war, hatte er uns mitgerissen.

I need you for my woman
I need you for my wife
You know I need you, woman
Lord knows I need my wife
But if you won't send an answer
I guess I don't need my life

Er beendete den Set mit einer natodrahtscharfen Version von "She’s Nineteen Years Old". Für den Fall, daß irgendwelche Touristen im Publikum waren. Die Menge wollte ihn nicht von der Bühne lassen. Eine Frau in einem elektroblauen Kleid stand auf, ein Bierglas in der Hand, und schrie ihm etwas zu, was ich nicht hören konnte. Die Stimme des Bandleaders drang durch das Mikrofon zurück.

"Vielleicht lauf ich über die hundert Meter kein Weltrekord, Baby, aber’n Sechzigminutenmann bin ich immer noch."

Er hatte die Menge im Sack.

"Noch eins", sagte er. Und meinte es. Der Drummer wechselte zu den Besen. Virgil eröffnete auf den tiefen Tasten. Ein Piano hat, anders als eine Gitarre, keine besonderen Phrasierungen drauf, aber Virgil spielte sie besonders. Die Slide-Gitarre blieb unten bei ihm. "God Bless the Child". Die Band hielt die Stellung, als sich der Sänger langsam von der Bühne schob. Dann wurde es dunkel.

—Auszug aus Kapitel 74 aus Blossom von Andrew Vachss

© 1990 Andrew Vachss. All rights reserved.


Doc Pomus: Rock and Roll Hall of Fame.

 


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