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The Official Website of Andrew Vachss

 

Die Psychopathen unter uns

Der Missratene Sohn:

Ein Serienmörder und seine Opfer

Die wahre Geschichte des Arthur J. Shawcross

von Jack Olsen

 

besprochen von Andrew Vachss
Ursprünglich veröffentlicht in New York Times Book Review, 14. März 1993


In diesem Zeitalter des Serienkiller-Chics findet ein ausreichend fruchtbarer Mörder eher einen guten Agenten als einen guten Anwalt. Der Wert eines Serienmörders steigt beträchtlich, wenn es sich bei seinen Opfern um junge Frauen handelt - die Öffentlichkeit zeigt weniger Interesse an den Opfern, als an Gewaltpornographie. Unheimliche Mörder wie John Wayne Gacy und Randy Kraft waren der Inhalt ausgezeichneter Bücher von unterschiedlichen Journalisten - Buried Dreams von Tim Cahill und Angel Of Darkness von Dennis McDougal. Die Absatzzahlen beider Bücher waren sehr verhalten, während unzählige, minderwertige Bücher über Ted Bundy die Bestsellerlisten stürmten. John Wayne Gacy und Randy Kraft haben eben keine Frauen getötet.

Der missratene Sohn, von Jack Olsen, einem Veteranen unter den True-Crime-Schreibern, unter dessen bisherigen Büchern auch Son: A Psychopath And His Victims sowie Doc: The Rape Of The Town Of Lovell zu finden sind, verlässt sich in seiner Wirkung nicht auf Stimulation. In der Tat verzichtet dieses Buch in seiner fachlichen Dichte wohlüberlegt auf jede Schlüpfrigkeit, sondern berichtet objektiv. Jeder, dessen unangebracht lüsternes Interesse durch solche erschöpfenden, tief-analytischen Arbeiten erwacht, sollte sich nach professioneller Hilfe umsehen.

Arthur J. Shawcross entsprach der gefährlichsten Sorte des jagenden Pädophilen, ein gewissenloser Sexualmörder von Kindern. Schließlich im Staate New York gefasst, wurde er wegen eines Kuhhandels nur wegen einfachen Mordes verurteilt. Nachdem er neun Jahre seiner Strafe verbüßt hatte, wurde er auf Bewährung entlassen und begann seine Jagd auf Prostituierte, wobei elf Opfer zu beklagen waren, bevor er wieder gefasst und zu einer Zuchthausstrafe verurteilt wurde. Er verbüßt derzeit eine Haftstrafe von 250 Jahren.

Der missratene Sohn ist ein fesselnder Bericht über ein Monster in Verwandlung. Mr. Shawcross war eine tickende Bombe, eine Tatsache, die sogar den meisten gelegentlichen Beobachtern in seiner frühen Vergangenheit bewusst wurde, in der er bereits jenes Verhalten zeigte, das Kriminologen als das klassische Morddreieck, bestehend aus Brandstiftung, Foltern von (kleinen) Tieren sowie Bettnässen, bezeichnen. Trotz der Befürchtungen aller Therapeuten, die mit ihm in Berührung kamen, wurde er aus dem Gefängnis entlassen - weniger in die Gesellschaft, als auf sie los.


"In mir hat sich zuviel Schmerz aufgestaut, zu viel Wut, die ich loswerden muss! Man sollte mich kastrieren oder eine Elektrode in Kopf pflanzen, die Schluss macht mit meiner Dummheit oder was auch immer. Ich bin nur eine verlorene Seele, die nach Erlösung vom Wahnsinn sucht. Bitte, Gott, mach dass mir jemand hilft."

Arthur John Shawcross, handschriftliche Aufzeichnung, März 1990.

Mr. Olsen verschwendet kaum Zeit mit dem Zählen der Opfer; seine Mission ist es, den Ursprung eines Lebens zu finden, das sich der Folter, der Verstümmelung und dem Mord verschrieben hat. Mit Zugang zu einer bemerkenswerten Menge an Material, dokumentiert er sorgfältig die Vielfältigkeit der (ungenauen) Diagnosen, ein kompliziertes Geflecht aus zerstörerischen und dysfunktionalen Beziehungen sowie die Ineffektivität des aus Resozialisierungs- und Bewährungssystems. Die besondere Stärke von Der missratene Sohn liegt in der beeindruckenden Fähigkeit des Autos, aus erster Hand Zugang zu jedem Spieler in des Killers eigenem Drehbuch zu gelangen; Ehefrauen (darunter eine Brieffreundin von Mr. Shawcross während dessen Haftzeit), Freundinnen, Mitarbeiter, Polizeibeamte, Therapeuten sowie die einzige Prostituierte, die ein Zusammentreffen mit dem Mörder überlebt hat - indem sie sich tot stellte und ihm dadurch half, seine nekrophilen Neigungen auszuleben und zum Orgasmus zu kommen.

Mr. Olsens besonderes Talent für die für sich selbst sprechende Ironie wird am besten dargestellt durch den folgenden Auszug aus den psychiatrischen Gutachten. Dies ist Mr. Olsens Zusammenfassung einer Beschreibung von Mr. Shawcross, als dieser 1972 das erste Mal in das Green Haven Correctional Facility in Stormville, N.Y., eingeliefert wurde: "Ein gefährlicher, schizophrener Pädophiler, der unter einer 'periodisch cholerischen Persönlichkeit leidet' ... Er hörte Stimmen, wenn er depressiv war, beschäftigt mit seiner Phantasie als einer Quelle seiner Befriedigung und hatte eine 'oral-erotische Fixierung verbunden mit dem Bedürfnis nach mütterlichem Schutz.'"

Und hierbei handelt es sich um das gleiche Individuum, das, bevor es 1981 auf Bewährung freigelassen wurde, von einem Psychiater folgendermaßen beschrieben wurde: "Nett, sauber, ruhig, kooperativ, aufmerksam, angenehm. Keine bizarren Angewohnheiten, Äußerlich normale Erscheinung und Haltung. Gute Selbstachtung / Selbstwertgefühl. Frustrationstoleranz innerhalb normaler Werte. Intaktes abstraktes Denken. Keine Halluzinationen / Täuschungen. Entwicklungsprozess verläuft logisch und rational. Offenbart keine psychotischen /neurotischen Symtome.“

Bei seiner absolut nicht-wertenden Annäherung verfügt Mr. Olsen über die Gabe für scharfsinnigen Erläuterungen, die seinen Erzählstil unterstreichen. Mr. Shawcross war ein passionierter Angler und Jäger, der immer zu seinem geliebten Sport zurückkehrte. Mr. Olsen wirft ein Licht auf die Wahrheit: "Fernab jeden Ärgers für den Moment, legte sich der auf Bewährung Entlassene eine Angelausrüstung zu und wanderte damit über die grasbewachsenen Sandbänke ... Es war lange her, seitdem er einen Fisch getötet hatte.“

Oft sind die ungeschminkten Worte der anderen Figuren des eskalierenden Mordszenarios so eisig wie die Handlung selbst, was sich an den folgenden Worten der Freundin des Killers erkennen lässt, als sie ihm dabei half, sich eine Socke über den geschwollenen Fuß zu ziehen: "Du armer Kerl, was machst Du nur, wenn ich nicht da bin?“ Diese zutiefst geschädigte Frau verhielt sich weiterhin loyal gegenüber Mr. Shawcross, auch nachdem die Antwort die erschreckende Wahrheit ans Licht gebracht hatte. Und ebenso jene wegen des Eherings: "Sie können es eintausend Mal behaupten, aber ich werde nie glauben, dass der Ring einer toten Hure gehört hat."

Mr. Shawcross war kein kriminelles Genie. Sein Übergang von Kinderopfern zu erwachsenen Prostituierten ist psychopathologisch, wenn man es im Zusammenhang betrachtet - sein Antrieb war sexueller Sadismus, nicht Pädophilie. Er führte seine „Krankheit“ auf den Missbrauch durch seine Mutter, den Inzest mit seiner Schwester sowie auf das Trauma der Kampfeinsätze in Vietnam zurück. Keine dieser Begründungen ist jemals dokumentiert worden - tatsächlich wurden sie erheblich angezweifelt.

Von diversen psychiatrischen Experten vor seiner letzten Verhandlung vernommen, verursachte Mr. Shawcross einen „Rashomon“-Effekt: Einer vertrat die These, dass sein Zustand ein post-traumatischen Belastungssyndrom darstelle; ein anderer führte sein Benehmen auf das verrufene XYY-Chromosom (ein zusätzliches Y-, d.h. männliches Chromosom, das einige Wissenschaftler für die Neigung zu aggressivem Verhalten verantwortlich machten), ein weiterer bezeichnete ihn als klassischen Soziopathen. Der Autor selbst nimmt keine Position ein, bleibt auf Distanz zu diesem Meinungssstreit und erlaubt dadurch den Lesern, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.

Mr.Olsen ist ein ausgezeichneter Verhörspezialist - er bringt Menschen dazu, sich ihm zu öffnen. Und es bleibt zu hoffen, dass auch Mr. Shawcross diesem Wunsch nachgekommen ist. Der missratene Sohn ist ein faszinierendes und kraftvolles Buch, das gleichermaßen einen echten Beitrag zu Kriminologie und Journalismus leistet.

© 2000-2006 Andrew Vachss. All rights reserved.

© 2003 Deutsche Übersetzung Armin Traeger für The Zero



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