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Der Hass auf die Unschuld

von Richard Hoffmann


Meine zehnjährige Tochter brachte uns die Neuigkeiten. Sie erzählte uns von einem kleinen Jungen aus der Stadt, der entführt, vergewaltigt und ermordet worden war. Sie bestand darauf, dass ich den Fernseher einschaltete, damit wir mehr erfahren konnten. Ich zögerte, wollte sie beschützen – als wenn sie vor der Wahrheit zu schützen das Gleiche wäre, als sie vor dem Bösen zu bewahren. Ich schaltete die Nachrichten ein.

Am meisten war ich besorgt über die Gefühle meiner Tochter. Aber als Vater hatte ich auch Mitgefühl mit den Eltern des Jungen, dessen Namen wir bisher nicht kannten. Und als Mann, der im Alter von zehn Jahren von einem Trainer vergewaltigt wurde, welcher, bevor er aufgehalten wurde, fortfuhr, die Leben von Hunderten von Kindern zu zerstören, überkam mich wieder dieses alte Gefühl von Wut. Bald sollten wir erfahren, dass der Name des Jungen Jeffrey Curley war.

Aufgrund meiner eigenen Vergangenheit habe ich seit langer Zeit versucht, die Ungeheuerlichkeit dieses Bösen zu verstehen. Ich bin zu einigen Schlussfolgerungen gelangt, abgesehen davon, dass wir beginnen sollten, bestimmten Begriffen eine neue Bedeutung zu geben, wenn wir die gleiche Angst, Hilflosigkeit und Verzweiflung, die uns so lange so untätig hat verharren lassen und durch die wir Kinder weiterhin der Gefahr aussetzen, vermeiden wollen.

Ich befürchte, dass wir auch durch die Sprache, die wir benutzen, irregeleitet werden – durch die Art, wie wir über jene reden, die unseren Kindern Leid zufügen. Unsere Worte sind entscheidend. Die Worte zeigen, wie wir denken. Wir bezeichnen jene, die unsere Kinder schänden, als „krank“. Wir benutzen Bezeichnungen, durch die wir ihr Leugnen und Verdrehen der Wahrheit akzeptieren. Wir verwirren uns durch unsere Sprache, die nicht die Realität widerspiegelt, sondern diese verbirgt – immer und immer wieder, bei einem Kind nach dem anderen, bis es zu spät ist.

Beginnen wir damit, dass wir uns weigern, den Begriff „Pädophiler“ zu gebrauchen. Dieses Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet, buchstäblich „jemand, der Kinder liebt“. Was für eine Orwell’sche, verdrehte Interpretation! Dieses Wort zu benutzen, um jene zu beschreiben, die unsere Kinder missbrauchen und sie in vielen Fällen ermorden, um sie zum Schweigen zu bringen, bedeutet, dem Wolf im Schafspelz zu helfen.

Der Ausdruck „Pädophiler“ ist mehr als nur eine armselige Wortwahl, sondern ein pseudo-medizinischer Begriff, der von uns verlangt, über das Böse in dieser angeblichen Krankheit oder Behinderung hinwegzusehen – sowie über dessen böse Folgen – und darin nicht mehr Unglück zu vermuten als in anderen natürlichen Unglücksfällen wie Diabetes oder Muskelschwäche. Dies lässt unsere verletzten Kinder zu einem Teil der natürlichen Ordnung werden – und den Gewalttäter zu jemandem, der sich nicht selbst helfen kann.

Anstatt des Begriffs „Pädophiler“ möchte ich hier eine Alternative vorschlagen: “Pedoscele“, abgeleitet von „Scelus“ aus dem Lateinischen, wörtlich übersetzt mit „Böse Tat“. Versuchen Sie es! Ped-o-skeel: Jemand, der Kindern Böses antut!

Und lasst uns damit aufhören, sie als „Sexualstraftäter“ zu bezeichnen, als wenn ihre Verbrechen irgendetwas mit Sex zu tun hätten. (Vielleicht war Jeffrey Dahmer ja auch nur ein „Lebensmittelstraftäter“.) Wie die Dichterin Linda McCarriston es einst auf den Punkt brachte: "Zu behaupten "Der Mann hatte Sex mit dem Kind" ist ebenso wie zu sagen "Der Mann hatte ein Dinner mit Schweinefleisch".

Die Vergewaltigung eines Kindes ist ein gewalttätiger Akt der Verachtung, kein Ausdruck der Sexualität oder Zuneigung. Pedosceles wollen uns etwas anderes glauben machen. Deshalb reden sie von „Liebe“ zwischen Männern und Jungs. Allzu oft fallen wir darauf herein. Beispielsweise wurde in einer Nachrichtensendung über den Mann, der eine Schneise der Zerstörung durch die Reihen der Kinder verschiedener Altersstufen (mich eingeschlossen) geschlagen hatte, von einem Nachrichtensprecher mitgeteilt, der Beklagte habe „festgestellt, dass er eine zärtliche Vorliebe für kleine Jungs hätte“. (Der Begriff „Pädophiler“ schwebt sozusagen über der ganzen Angelegenheit.) Bei dieser Vorverhandlung sagte einer der Jungen aus, dass der Mann damit gedroht hatte, ihm seine Genitalien abzuschneiden, wenn der Junge etwas erzählen sollte. Ein weiterer Junge bezeugte, dass der Angeklagte angedroht hatte, seinen kleinen Bruder zu erschießen. Eine zärtliche Vorliebe – in der Tat!

Vor einigen Jahren richtete ein Pedoscele namens Thomas Hamilton ein Massaker unter einer Klasse eines Schulkindergartens in Dunblane, Schottland, an. Jahrzehntelang war er von einer Gegend, die ihn nicht willkommen geheißen hatte, in die nächste gezogen, aber der Polizei gelang es nicht, Eltern zu finden, die sich nicht schämten, in einer Gerichtsverhandlung gegen ihn auszusagen. Stattdessen hat er sich abermals davongemacht und wurde stets aufs Neue zum Problem der nächsten Gemeinde. Das spätere Gemetzel, ähnlich dem Mord an Jeffrey Curley (Jeffrey Curley, ein zehnjähriger Junge, wurde am 01. Oktober 1997 von zwei Männern in deren Auto gelockt, vergewaltigt und ermordet. Der Fall erlangte große Aufmerksamkeit, da einer der beiden Täter Mitglied der NAMBLA war, der sich selbst so bezeichnenden "North American Man Boy Love Association", Anm. d. Übersetzers) , enthüllte die wahre Natur dieser Art von Kindesmissbrauch. Im Kern ist es der Hass auf die Ungekünsteltheit und Verwundbarkeit, die wir Unschuld nennen. Männer wie Thomas Hamilton oder Jesse Timmendequas, der Megan Kanka ermordete, oder die Mörder von Jeffrey Curley, ertragen diese Eigenschaft nicht, sondern müssen sie beflecken. Scheitern sie damit, sind sie gezwungen, das diese Eigenschaft repräsentierende Kind zu töten.

Und, da wir gerade dabei sind: Lassen sie uns den Begriff „Kindesbelästigung“ in Rente schicken. Während der Ferien unternahm meine Familie einen Tagesausflug zu einem Vogelzoo, auf dessen Hinweisschildern stand: "Belästigen Sie die Vögel nicht." Denken Sie darüber nach: Es bedeutet, sie zu quälen. "Entschuldigen Sie bitte, aber Sie quälen mein Kind."

Selbst wenn wir uns ungezwungen unterhalten, sind wir dabei meist ignorant, verdrießlich und verwirrend. Ich habe das Wort „knuddeln“ gehört, um Gewalt gegenüber Kindern zu umschreiben (und zu verharmlosen), wie bei „Er knuddelt gerne kleine Jungs.“ Dieser Begriff impliziert, dass die Zustände scheinbar in Ordnung sind – es klingt niedlich, nach Gekicher, nach Unartigkeit. Knuddeln, liebkosen, herumalbern – großartige Begriffe der Verschleierung, hinter denen reale Kinder wie Jeffrey Curley verschwinden.

Wir müssen endlich Sicherheit für unsere Kinder erschaffen. Und der erste Schritt auf diesem Weg liegt darin, die Realität klar zu erkennen. Eine Sprache zu gebrauchen, die die wahre Natur der Verbrechen an unseren Kindern offenbart, sofern wir sie uns vorzustellen vermögen ... und letztendlich unsere Kinder vor jenen zu schützen, die – unmissverständlich ausgedrückt – unsere Kinder wegen all dem hassen, was unsere Kinder sind: jung, vertrauensvoll und unschuldig.

© 1998 Richard Hoffman. All rights reserved.

2004 Deutsche Übersetzung Armin Trager für The Zero


Richard Hoffman ist Dichter, Schriftsteller und Verfasser verschiedener Abhandlungen. Die Veröffentlichung seiner Memoiren „Half The House“ hatte die Festnahme und Verurteilung eines Pedoscelen mit einer 40 Jahre währenden Geschichte von Gewalt gegenüber männlichen Jugendlichen und Kindern zur Folge. „Half The House“ ist als Taschenbuch im Harvest Books Verlag erhältlich.

Mehr Informationen über Mr. Hoffman erhalten Sie unter http://www.abbington.com/hoffman/index.html

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 23. November 1998 in „The Boston Globe“ veröffentlicht.



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