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Pansy in Haft
Auszug aus dem Roman CHOICE OF EVIL

von Andrew Vachss


Ich bewegte den Plymouth vorsichtig um die Ecke, überprüfte die Straße, wie ich es immer tat, wenn ich nach Hause unterwegs war. Die Garage, die ich benutze, ist im Grunde das abgesperrte Erdgeschoss einer alten Garnfabrik, die vor Jahren in exklusive Lofts umgewandelt wurde. Über den durchdesignten, geschossgroßen Apartments ist das, was die Yuppie-Bewohner für eine Zwischendecke halten. Dort lebe ich.

Ein Kumpel hat deren Stromleitung angezapft und eine Waschbecken-Toiletten-Kombination aus Edelstahl installiert. Eine Fiberglas-Duschkabine, eine Kochplatte, eine Leitung zu den Heizungsrohren darunter... und es wurde mein Zuhause.

Ich hab da jahrelang gewohnt, dank einer Vereinbarung, die ich mit dem Vermieter hatte. Sein Sohn hatte das große Los gezogen—kein großes Kunststück für einen Grünschnabel, der dachte, seine reichen, Drogen vertickenden Freunde zu verscheißern sei ein spaßiges Hobby—und endete in einem Zeugenschutzprogramm. Ich stolperte über ihn, als ich nach jemand anderem suchte und tauschte mein Schweigen gegen eine besondere Art von Mietpreiskontrolle. Kostete den Vermieter keinen Pfennig, kaufte seinem Bengel aber ein anonymes Leben. Und einen sicheren Hafen für mich.

Ein Teil meines Lebens steckt in dem Gebäude. Und als ich die Gruppe blau-weißer NYPD-Streifenwagen um den Hintereingang herum sah, wusste ich, dass dieser Teil vorüber war.

Ich saß einfach da und nahm es hin. So wie ich es immer tue - mit Angst und Wut, die in mir tanzen, ohne dass meinem Gesicht etwas anzumerken ist. Ich hatte eine Menge Übung darin, angefangen mit dem Krankenhaus, wo die Hure von Mutter mich fallen ließ—mich aus sich raus fallen ließ, meine ich— über das Waisenhaus, die Pflegefamilien, die Erziehungseinrichtungen für Jugendliche, das Gefängnis, den Krieg in Afrika, erneut das Gefängnis und ... all das.

Es spielte keine Rolle mehr. Nichts davon. Irgendwer hatte mich verpfiffen. Und die Bullen würden dort oben genug Beweismittel für schwere Verbrechen finden, um mich diesmal für immer reinzubringen, sobald sie eins und eins zusammenzählten.

Ich beobachtete, wie die Bullen Pansy auf einer Trage raus schleppten, sich mit dem Gewicht des riesigen Tiers abmühten. Pansy ist meine Hündin. Mein Partner, nicht mein Haustier. Ein Mastino Neapolitano, ein direkter Nachfahre der Kriegshunde, die mit Hannibal die Alpen überquerten. Im Gefängnis hatte ich jede Nacht davon geträumt, meinen eigenen Hund zu haben. Sie hatten mir meinen geliebten, kleinen Terrier weggenommen, als ich ein Kind war; das verlogene Schwein von Jugendrichter versprach mir, in der Pflegefamilie in die sie mich schickten, würde es einen jungen Hund geben. Ich erinnere mich, wie der Gerichtswachtmeister lachte, aber ich kapierte den Witz nicht, bis sie mich rausschmissen. Es gab dort keinen Welpen und ich musste meine Zeit alleine absitzen, ohne jemanden, der mich liebte.

Ich hab meinen Hund nie wiedergesehen, aber ich traf den Gerichtswachtmeister wieder. Es war mehr als zwanzig Jahre später, und er erkannte mich nicht. Als ich mit ihm fertig war, erkannte auch ihn niemand mehr wieder. So war ich damals. Ich bin heute nicht mehr so. Aber ich habe nur meine Art und Weise geändert, nicht mein Herz.

Ich habe Pansy großgezogen, seit sie ein Welpe war. Sie selbst entwöhnt. Sie würde für mich sterben. Und es sah so aus, als hätte sie das getan. Aufrecht bis zum Schluss. Sie hätte niemals ein anderes menschliches Wesen reingelassen, wenn ich nicht da war.

Ich sagte Ihr Lebwohl auf die Art, wie wir das hier unten tun —indem ich ihr Vergeltung versprach. Ich benutzte das kleine Fernglas, das ich immer bei mir trage, und stellte es scharf, um nahe ranzukommen: ich sah, wie Pansy sich auf der Trage regte. Sie war noch am Leben. Die Bullen hatten wohl auf die EMS-Einheit gewartet—sie haben Betäubungsgewehre. Also brauchte ich die Dienstmarken der Bullen nicht mehr—ich brauchte meinen Hund zurück. Ich wendete den Plymouth langsam und sachte und steuerte ihn an einen Ort, an dem ich ein paar Pläne schmieden konnte.


»Honey, ich habe stundenlang rumtelefoniert. Wir wissen, wo sie ist«, sagte Michelle, ihre glänzenden Augen strahlten, reflektierten den Schmerz in mir. Sie ist meine Schwester — mein Schmerz ist der ihre.

»Wo?«

»Das neue Tierheim. Das in Hunter's Point, gerade über den Fluss. In Long Island City.«

»Yeah, Ich hab davon gehört. Es ist privat, ja? Ein Teil des Privatisierungsplans des Scheiß-Bürgermeisters.«

»Baby, entspann Dich, okay? Crystal Beth ist auf der Stelle hingerast, als ich sie anrief. Es könnte ein bisschen blöde laufen ... Pansy ist nicht angemeldet, keine Papiere ... aber Crystal weiß, was sie tun muss. Setz dich einfach hin, und —«

»Wann ist sie gegangen

»Honey, Stopp. Du machst mir Angst. Sie ist jetzt vor fast ... drei Stunden weg. Du erwartest doch wohl nicht, dass sie dieses Monster auf dem Rücksitz ihres Motorrades mitbringt, oder etwa doch?«

»Es ist mir, egal wie sie —«

Michelle legte ihre Hand auf meinen Unterarm, brachte mich zu innerer Ruhe, erinnerte mich an all die Jahre die ich damit verbracht hatte, den Weg zu diesem Ort zu erlernen.

»Kannst Du mir Max holen?« fragte ich Mama. Sie hing in unserer Nähe herum, seit ich reingekommen war.

»Klar. Hol Max. Komm bald, okay?«

Ich nickte nur.

»Burke, dafür brauchst Du Max nicht,« erklärte Michelle mir. »Jesus! Es ist ja nicht so, als ob sie sich sonderlich drum kümmern, ja? Gut, sie ist nicht angemeldet. Also wird Crystal Beth eine Geldbuße zahlen... oder was auch immer. Es wird nicht lange dauern ...«


Ich blieb in mir, wartete. Fühlte Crystal Beths kleine Hand auf meiner Schulter, bevor ich sie herannahen hörte. Roch ihren Orchideen-und-dunkler-Tabak-Duft. Bewegte mich nicht. Sie kam um den Tisch und setzte sich mir gegenüber.

»Burke —«

»Was ist passiert?« Ich unterbrach, was immer sie sagen wollte, wusste schon, dass es schlecht war.

"Die ... Sache mit der Anmeldung war kein Problem. Genau wie Michelle sagte. Sie wollten sie mir mitgeben. Aber sie wollten sie nicht rausbringen—sie sagten, ich müsste nach hinten gehen und sie selbst holen.«

»Und ... ?«

»Sie war in einem Käfig. Einem großen Stahlkäfig. Wie ein Tiger oder so etwas. Es war ein Schild daran, in rot; das sagte: GEFÄHRLICH! NICHT NÄHERN! Der ... Wärter sagte mir, dass sie nicht fressen wollte. Selbst als sie es in den Käfig schmissen, hat sie nicht gefressen. Er warnte mich, nicht näher an sie ranzugehen, aber ich habe es trotzdem getan, und sie...«

»Was?«

"Sie hat versucht mich umzubringen. Sie stürzte sich an das Gitter, grollte und schnappte mit den Zähnen, und ...«

»Sie wissen das Wort nicht«, sagte ich, halb zu mir selbst. Ich hatte Pansy giftfest gemacht, als sie noch klein war. Bis man das richtige Wort sagte, würde sie kein Fressen anrühren, ganz egal wie hungrig sie war.

Ich hatte einen Freund, der einen kleinen Autoersatzteil-Schuppen betrieb. Er hatte einen wirklich schönen Schäferhund. Der Hund bewachte nachts den Platz, damit sich niemand selbst bedienen konnte. Irgendein Degenerierter warf ein strychningetränktes Steak über den Zaun. Als der Hund es sich nahm, starb er. Voller Schmerzen.

Ich hatte Pansy trainiert, damit ihr das nie passieren würde. Und ich hätte wissen müssen, dass sie mit niemandem außer mir rausgehen würde.

Im Tierheim versuchen sie, die Hunde zu vermitteln. Wenn es nicht klappt, werden sie vergast. Wer würde ein sechzehn Jahre altes, hundertfunfzig Pfund schweres Monster adoptieren, das einen Feuerhydranten abbeißen konnte? Aber Pansy würde nicht darauf warten, vergast zu werden—sie würde sich bis zum Tode treu bleiben.

Niemals. Ich schuldete ihr zumindest das, was ich mir selbst immer versprochen hatte. Dass ich nicht eingesperrt sterben würde.

»Michelle, finde den Prof für mich«, bat ich sie.


Ein paar Stunden später war ich mit einem Teil meiner Familie zusammen, wartete auf den Rest

»Ich kann sie nicht mit einer List rausbekommen«, erklärte ich den Frauen. »Ich meine, ich könnte selbst hingehen und sie würde mit mir kommen. Aber wenn ich auftauche... die Bullen wissen, wo sie sie her haben und sie werden mich vielleicht erwarten. Ich bin überrascht, dass sie nicht versucht haben Crystal Beth zu folgen...«

»Ich war auf meinem Motorrad, Honey«, sagte Crystal Beth, das Gesicht ruhig und voller Selbstsicherheit.

Ich wußte, was sie mir sagte. Es gab keinen Bullenwagen, der mit Crystal Beth auf ihrem Motorrad mithalten konnte, vor allem bei dem anhaltenden Regen, der seit Tagen gefallen war. Zum ersten Mal nahm ich wahr, was sie trug — eine komplette Lederkombi.

»Aber wie hättest du Pansy auf—?«

»Wir hatten einen Wagen dabei. Wenn ich sie rausbekommen hätte, hätte ich sie einfach da reingeladen und—«

»Wessen Auto?«

»Ich weiß nicht, Burke. Der Maulwurf hat es uns geliehen. Ein großes, dunkles Ding. Er hat mir auch ein neues Nummernschild für mein Motorrad gemacht. Selbst wenn die Bullen es gesehen haben, können sie nichts damit anfangen.«

»Der Maulwurf wäre gefahren? Jesus, Ich—«

»Nicht der Maulwurf«, unterbrach mich Michelle. »Terry.«

»Er ist nicht—«

»Doch, ist er«, sagte sie, eine Spur von Traurigkeit in ihrer Stimme. »Mein kleiner Junge ist nun fast ein Mann. Er hat keinen Führerschein, aber er kann fahren.«

Terry. War es schon so lange her, dass ich ihn von diesem Kinderzuhälter am Times Square weggeholt hatte? Seit Michelle ihn als ihren Jungen aufgenommen hatte? Seit der Maulwurf ihn auf seinem Schrottplatz großgezogen hatte? Seit...?

Dann schwang die Tür auf und der Prof kam herein, Clarence dicht hinter ihm.

»Was ist der Plan, Mann? Ich vernahm die Worte, kam sobald ich sie hörte.«

»Wir müssen sie rausholen, bevor sie—«

»Ich sagte der Plan, Trottel. Du weißt, ich steh mit dem Hund im Bund. Also gib mir die Information, Sohn... Sie werden auf der Lauer liegen, warten darauf, dass du deinen Zug machst. Wir müssen schnell sein, aber wir müssen auch hell sein. Sonst ...«

»Lass mich überlegen«, sagte ich dem einzigen Vater, den ich je hatte—jenen, den ich hinter den Mauern traf.


»Hat es jeder?«, fragte ich. Es war mittlerweile fast neun Uhr abends, mehr als sechzehn Stunden seit mein Leben auseinandergerissen wurde.

Alle nickten. Niemand sprach. Ich sah zu dem großen runden Tisch in der Ecke rüber, auf dem sich alles aufstapelte, was wir brauchten.

»Bist Du sicher, dass sie rund um die Uhr auf haben?«, fragte ich Michelle.

»Das ist das, was sie gesagt haben, Honey. Aber ich weiß nicht, ob sie tatsächlich die Tür aufmachen, selbst wenn man sagt, dass es ein Notfall ist. Es ist keine medizinische Einrichtung. Alles, was sie dort tun, ist Hunde aufzubewahren und...«

»... sie umzubringen«, beendete ich den Satz für sie. »Es spielt ohnehin keine Rolle.« Ich drehte mich zu Crystal Beth um. "Hast du den Grundriss?«

»Hier ist er«, sagte sie und rollte ihn auf dem Tisch vor mir aus.

»Maulwurf«, rief ich, bestellte ihn rüber. Dann begann ich zu erklären, was ich brauchte.


»Es müssen Frauen dabei sein«, sagte Crystal Beth, auf der einen Seite des Tischs, die kleinen Hände auf ihren breiten Hüften, das Gesicht gestrafft gegen jedes Argument.

»Schau, das ist —«

»Du sagst 'Männerarbeit' und ich werde—«

»Nein, Mädchen«, sagte ich besänftigend. »Das habe ich nicht gesagt. Es ist nur so, dass du keinerlei Erfahrung hast mit —«

»Womit, Entführung?«, unterbrach mich Michelle. »So geht das nicht. Du und der Prof, klar. Ich weiß, dass du manchmal sogar Max dazu bekommst, bei dem verrückten Kram mitzumachen, den du so treibst, aber wenn du denkst —«

»Ich gehe auch, kleine Schwester«, sagte Clarence mit seiner würdevollen Insulanerstimme, das schwarz-blaue westindische Gesicht gefasst und entschlossen. »Gib nicht Burke die Schuld dafür. Ja, ich würde meinem Vater folgen, wo immer er hingeht. Aber ich liebe dieses großartige Tier auch. Sie wird nicht sterben«, sagte er sanft, seine Hand streichelte die 9mm Halbautomatik, die ebenso Teil seiner Garderobe war wie die knallbunten Klamotten, die er jeden Tag über seinen schlanken Körper drapierte.

»Das ist nicht der Punkt. Ich möchte nicht—«

»Michelle, Ich werde gehen«, sagte der Maulwurf. Ruhig und freundlich, wie immer. Aber diesmal ohne sich ihr zu beugen. »Terry nicht. Du hast recht. Er ist auch mein Junge, nicht nur deiner. Und er ist zu jung, um ein Risiko einzugehen ... welches auch immer.«

»Werdet Ihr Schwachköpfe mir verdammt noch mal zuhören?« schrie Michelle und stand dabei so plötzlich auf, dass sie ein paar Gläser vom Tisch fegte. Sie ging rüber und stand genau neben Crystal Beth.

»Das ist nicht das, was ihr Debilen denkt, was ich Euch zu sagen versuche«, ihr cremefarbener Teint lief vor Zorn rot an, »Es ist keine Entführung, selbst mit all diesen ... Knarren und anderen Sachen, die Ihr habt. Es ist immer noch ein Schwindel, ja? Und sie werden es nicht kaufen, wenn ihr keine Frau habt, die das Reden übernimmt, kapiert?«

»Das Mädchen sagt, wie`s ist«, sagte der Prof. Ohne den richtigen Plan, beißen sie nicht an. «

Der Maulwurf nickte, langsam und widerwillig.

»Yeah«, sagte ich, gab auf.


Es war fast drei Uhr früh, als wir fertig waren, um loszufahren. Michelle und Crystal Beth hatten beide militärische Tarnkleidung an, komplett mit Kampfstiefeln. Max und ich entschieden uns für den Alltagslook. Crystal Beth saß neben mir auf dem Beifahrersitz, ihre linke Hand mitfühlend auf meinem Oberschenkel. Max und Michelle saßen hinten, Michelle hielt ein nervenaufreibendes Geplapper und der taubstumme Mongolenkrieger war vermutlich dankbar, dass er nicht hören konnte. Ich hatte entschieden, dass der Plymouth kein großes Risiko war — ich habe immer die Zulassung dabei und der Wagen hatte in der vergangenen Nacht eine frische Schicht matter, cremefarbener Grundierung bekommen.

Ich winkte rüber zu Clarence, der hinter dem Lenkrad eines Transporters saß, der als Servicefahrzeug der Gaswerke durchgehen würde, wenn man nicht zu genau hinschaute. Wer es doch tat, würde in das falsche Ende der abgesägten Doppelläufigen des Profs blicken. Irgendwo hinten im Laster bereitete der Maulwurf seine Mittelchen vor.

Wir fuhren hintereinander her, bis wir die Ausfahrt vom FDR erreichten. Ich zeigte auf eine weiße Semi-Stretch-Limousine mit schwarz getönten Scheiben. »Das ist eurer,« sagte ich zu Crystal Beth. »Die anderen Fahrer werden um die Uhrzeit am Morgen bei einem solchen Auto nicht zweimal hinschauen. Es wird aussehen, als käme jemand von seiner Tour durch die Clubs nach Hause. Außerdem werden alle reinpassen.«

»Ich komme mit euch,« sagte sie.

»Nein, tust Du nicht, Mädchen«, erklärte ich ihr. »Max fährt `nen Scheißdreck zusammen, und der Maulwurf würde den Wagen mit Sicherheit klatschen. Clarence ist der beste Fahrer den wir haben, aber wir brauchen ihn in dem Transporter. Wir lassen den Laster zurück, wenn wir fertig sind, und es passen nicht alle in den Plymouth. Du parkst ihn einfach da, wo ich dir gesagt habe und wir treffen uns alle, bevor wir reingehn.«

»Burke, Ich —«

»Crystal Beth, ich schwöre, dass ich auf der Stelle deinen dicken Hintern aus dem Wagen werfe, Schluss mit den Spielchen. Fahr die Limousine, oder wir machen`s ohne dich.«

Sie boxte mir hart auf den rechten Arm und stieg aus. Sie ging rüber zu der Limousine und öffnete sie mit dem Schlüssel, den ich ihr gegeben hatte. Ich wartete, bis ich hörte, dass sie gestartet war, dann fuhr ich los.


Das Tierheim war freistehend—ein langes, niedriges Betongebäude, auf der Rückseite wie ein T geformt.. Ich zeigte aus meinem Fenster, dass Crystal Beth am Straßenrand halten sollte. Sie parkte die große Limousine perfekt ein, die Front nach draussen gerichtet. Als sie sich auf den Beifahrersitz des Plymouth setzte, sagte ich: »Sie fahren den Laster hinten rum. Der Maulwurf wird drin bleiben. Der Prof und Clarence treffen uns vorne. Dann geht es los. Fertig?"

Alle nickten. Keiner sprach.

Ich versteckte den Plymouth um die Ecke, außer Sicht von der Eingangstür. Wir stiegen alle aus. Der Prof und Clarence schlüpften um die Ecke und schlossen sich uns an.

»Wie kommen wir rein, Schuljunge?« fragte der Prof. »Smart oder hart?«

»Hart«, antwortete ich ihm, zeigte ihm die Handvoll Semtex, die ich hielt. »Ich zuerst. Geh` zurück.«

Ich ging an die Tür. Hielt mein Ohr dran. Nichts außer ein paar vereinzelten, traurigen Bellern—der Gefangener-Hund-Blues — kein Ton menschlicher Aktivitäten. Ich klebte das Semtex rund um den Türknauf und das Schloss, legte dann eine lange Spur bis zur Türkante. Ich ruckte an der Schnur und rannte zurück um die Ecke.

In dem Augenblick, als die Tür aus den Angeln flog, stürmten wir alle rein, die Gesichter mit dunklen Strumpfmasken bedeckt, die Hände in Handschuhen. Ich war als erster durch die Tür. Der Bedienstete war an seinem Tisch, das Gesicht schlaff vor Schreck. Ich zeigte ihm die Pistole.

»Berühr das Telefon und du bist tot«, versprach ich ihm.

Max glitt an mir vorbei, schwang den riesigen Bolzenschneider von seiner massiven Schulter. Der Prof ging in eine Ecke, schwenkte seine Schrotflinte, eine Schlange auf der Suche nach einer vorbeihuschenden Maus. Die Lichter flackerten, gingen dann aus — der Maulwurf sagte, dass er bei der Arbeit war.

Crystal Beth kam rein, schob mich zur Seite, strahlte dem Wärter mit einer Halogenlampe ins Gesicht.

»Dies ist eine Botschaft des Wolfsrudel-Kaders der Caniden-Befreiungsfront", proklamierte sie mit perfekter, freiheitlich-trotteliger Revoluzzerstimme. »Ihr werdet unsere Brüder und Schwestern nicht länger ohne Furcht vor den Konsequenzen einsperren!«

»Sehn Sie, Ich —«

»Sei still, du Lakai!", knurrte Crystal Beth ihn an. »Das ist ein Gefängnisausbruch, keine Debatte.«

Eine gedämpfte Explosion erschütterte den hinteren Teil des Gebäudes. Dann noch eine.

Der Wärter bewegte seine Lippen, als betete er, aber es kam kein Ton heraus.

Ich ging an ihm vorbei. Sah, wie sich Max' breiter Rücken beugte, als er das schwere Schloß an der Tür zum Bereich der Zwinger sprengte. Dann knackten wir beide die Käfige auf, einen nach dem anderen. Die Hunde liefen unsicher umher, bis einer das klaffende Loch in der Seite des Gebäudes entdeckte. Er rannte hin, und die anderen folgten.

Pansy war da, ihr Käfig stand offen. Aufrecht stehend, warnte sie Max davor näher zu kommen.

»Pansy!", rief ich sie. »Komm her, Süße!«

Der Kopf des großen Tiers schoss hoch. Sie sprang rüber zu mir. »Gutes Mädchen!« lobte ich sie und tätschelte ihren riesigen Schädel. Dann gab ich ihr das Handzeichen mir zu folgen und wir verschmolzen mit dem Fluß der Hunde, die in die Freiheit strömten.

Sobald sie das Auto sah, wusste Pansy, was zu tun war. Ich öffnete den Kofferraum und sie sprang rein, rollte sich auf der Matte neben dem abgepolsterten Benzintank zusammen und schaute erwartungsvoll auf. Ich gab ihr einen riesigen Markknochen, flüsterte gleichzeitig »Sprich!«. Ich schloß den Kofferraumdeckel, wusste, dass die Luftlöcher, die ich vor Jahren reingebohrt hatte, ihr genug Atem ließen. Und falls jemand hörte, wie sie den Knochen pulverisierte, würde er allenfalls denken, dass der alte Plymouth ein schlechtes Getriebe hatte.

Obwohl wir auf der falschen Seite des Flusses operierten, konnte mittlerweile irgendein Bürger die Bullen gerufen haben. Wir mussten uns beeilen. Ich stieg gerade wieder durch die Vordertür, als Michelle eine Pappschablone anklebte, die die Welt vor dem verbrecherischen Einsperren von Hunden warnte. Clarence sprühte die blutrote Farbe mit der einen Hand, die andere hielt ruhig seine Pistole.

»Denk` nicht mal an die Telefone, wenn wir weg sind«, sagte ich dem Bediensteten, nur um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Als er aufsah, materialisierte Max hinter ihm und machte etwas mit seinem Genick. Er würde für die nächsten Stunden keine Anrufe machen.

»Sind alle raus?«, fragte ich Clarence.

»Alle verschwunden, Mahn. Jeder einzelne.«

»Sammelt den Maulwurf ein — er ist irgendwo da hinten. Dann schnappt euch die Limousine und verschwindet. Ich werde direkt hinter euch sein."

Ich warf eine Rauchgranate in den hinteren Teil des Schuppens und rannte zum Plymouth.


Ich las alles darüber in der Abendausgabe. Pansy streckte sich neben mir in Crystal Beths Appartement aus. Im obersten Geschoss ihres Safehouse.


Die Zeitungen waren für die nächsten paar Tage — in jeglicher Hinsicht — voll davon . Der Bürgermeister sagte, es handele sich um Terrorismus. Pansy gähnte, als sie sein Gesicht sah. Sogar die Kamera war gelangweilt.

Die meisten Hunde schafften es in die Freiheit. Drüben auf der Seite von Queens ist der Uferverlauf nicht vollständig erschlossen. Noch nicht. Vielleicht werden manche von ihnen ein Rudel bilden, wie es ihre Artgenossen in der South Bronx getan hatten, verwildern, ihre eigene Rasse hervorbringen.

So wie wir, die Kinder des Geheimnisses.

Ein paar von ihnen werden sich zusammenschließen. Andere werden auf alles Jagd machen, was ihren Weg kreuzt.

Einige von uns uns tun das auch.

Ich begann mein Leben neu aufzubauen.


Auszug aus dem Roman Choice of Evil von Andrew Vachss. (noch nicht auf Deutsch erhältlich)

© 1999 Andrew Vachss. All rights reserved.
Leseprobe Deutsche Übersetzung 2004 A. H. für The Zero.


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